DIE FELSEN TROTZEN DER ZEIT, DIE SCHIFFE GEHEN ZUGRUNDE...

von Jacques Leveau

 

Zweifelsohne ist der Küstenstrich, der uns jetzt willkommen heißt, eine der Landschaften, die das echteste und gediegenste bretonische Gepräge tragen: Von der Halbinsel Crozon mit epischem Einschlag, von den mannigfaltigen Farben ihrer Felsen und Strände, von der strengen Rauheit ihrer steilen Klippen, von der Raserei ihrer Fluten an stürmischen Tagen wird eine beeindruckende, beinahe beängstigende Schönheit ausgestrahlt.

 

 

 

 

An der ins Wasser vorstoßenden Spitze von Dinan (La Pointe de Dinan) nimmt das Großartige in Form einer „Burg“ konkrete Gestalt an. Es handelt sich dabei um ein ungeheures Felsengebilde, das an die ausgezackten, zerklüfteten, wenn auch weiterhin trutzigen Ruinen einer mittelalterlichen Burg erinnert. Wer in diese Burg gelangen will, muß über einen natürlichen Gesteinsbogen, den sogenannten „Durchbruch der Kobolde“, hinübergehen. Dieser Abstecher eignet sich eigentlich nur für vorsichtige, erfahrene Wanderer. Dies mag der Ort sein, der 1859 von Victor Hugo wie folgt besungen wurde:
„Wenn im Winter wieder Flut ist, Und finster die Nacht hereinbricht, Kommen die armen Menschen der Küste An diesen äußersten Zipfel der Erde; Sie schauen in die geheimnisvollen Fluten, Die endlos brüllen, heulen und wüten.“
Nach dem Vorbild von Port-Louis, Concarneau, Brest und Saint-Malo vermochte sich die Stadt Camaret-sur-Mer, die auf der mittleren Spitze der Halbinsel liegt, dem Zugriff des auf militärische Bauarbeiten spezialisierten, unermüdlichen Unternehmers König Ludwigs XIV. nicht zu entziehen und wurde ebenfalls mit allen Vorzügen der Befestigungskünste „à la Vauban“ bedacht. Hier kann man zum Beispiel ein kleines Fort mit orangefarbenem Verputz bewundern, das Vauban 1689 bauen ließ und selber mit Vorliebe „Meinen Goldenen Turm“ nannte. Dank diesem Bollwerk konnten die Bretonen 1694 einen glänzenden Sieg über die englischen und holländischen Angreifer davontragen, und der „Sonnenkönig“ konnte aufjubeln, hatte sich doch das fünf Jahre zuvor für den Bau der Bastei verwendete Geld ausgiebig rentiert. Übrigens scheint die Stadt Camaret die Heerführer und anderen Militärs anzulocken. In der Tat wurde etwas mehr als ein

Jahrhundert später, im Jahre 1801, in ihrer Bucht vom amerikanischen Ingenieur Fulton der Versuch gemacht, das erste U-Boot tauchen zu lassen, schon wieder auf Kosten eines englischen Schiffs, das glükklicherweise das Weite suchte, noch bevor es zum Schlimmsten kam. Es sieht wirklich so aus, als wären zu jener Zeit die Engländer die einzigen gewesen, die alle Ozeane der Welt durchsegelt hätten!
Camaret-sur-Mer ist auch einer der wichtigsten Häfen Frankreichs für den Langustenfang. Die alten Fischerboote in unserem Bildband sind ein ausdrucksvolles Zeugnis dafür. Abgebraucht, erschöpft bleiben sie im Sand oder im Schlamm liegen. Sie sehen wie uralte Greise aus, die versuchen, ihre abgemagerten Glieder an den Sonnenstrahlen zu erwärmen. Deren Planken sind zerborsten, zersplittert, vom Wasser, Sand, Salz und Wind bis ins Mark hinein zernagt, und ihre Rümpfe, in welche sehr tiefe Furchen eingegraben sind wie in die Rücken der ältesten Dickhäuter, beweisen zur Genüge, daß der Wind von offener See nie wieder um sie herum pfeifen wird.
Zwar sind die alten Häuschen im Inneren der Bretagne auch von Wind und Wetter gegerbt, aber ihre Mauern, die lauter Mosaiken aus rohen Steinen sind, scheinen so beschaffen zu sein, dass sie die Ewigkeit überdauern können. Wie sie von wildem Wein überzogen inmitten wild wachsender Gräser und allerlei Heidesträucher da stehen, erinnern sie an die ländlichen Behausungen aller Zeiten und aller Länder Europas. Wie fast überall in der Welt bestehen diese Häuser aus denselben natürlichen Materialien, als da sind Stein, Stoppeln, Schiefer und Holz, und sie haben sich schlecht und recht durch die Zeiten geschlagen, ein wenig den Menschen ähnlich, die sehr alt werden müssen, um weiser zu sein.

Gegen die gräßlichsten Unwetter abgehärtet, sind diese Häuser so standfest und widerstandsfähig, dass eine einfache Wellblechplatte ausreicht, um jeglichen Schaden zu beheben.
Kein noch so scheußliches Wetter kann den Zauber dieser alten, ländlichen Häuser beeinträchtigen, denen die Hortensienbeete einen in der Sonne erstrahlenden Schmuck verleihen: eine Blumenpracht in lauter Rottönen, die für diese Aschenbrödel der Heide die Liegestatt einer Prinzessin richtet.
Auf einem anderen, ins Meer hinausragenden Zipfel im Departement Finistère gelegen, kann sich Saint-Mathieu, das im 14. Jahrhundert eine bedeutende Stadt war und heute nur noch ein Dörfchen ist, immerhin weiter rühmen, an seinem Standort zwei für den Menschen lebenswichtige Bauwerke zu vereinigen: einen Leuchtturm und eine Kirche. Vielleicht weiß in dieser Beziehung manch einer nicht, dass mehr als ein Drittel aller französischen Leuchttürme über die Bretagne wacht. Nachts kann das vom Leuchtturm in Saint-Mathieu ausgestrahlte Licht aus 55 bis 60 Kilometer Entfernung wahrgenommen werden. Was die verfallene Kapelle angeht, so gehörte sie einst zu einem Benediktinerkloster aus dem 6. Jahrhundert, in dem der Kopf des Heiligen Mathäus als Reliquie aufbewahrt worden sein soll. Übrigens hat der neue Leuchtturm eine einst von den Mönchen selbst unterhaltene Feuerstätte abgelöst, die die Seeleute vor jeder Gefahr warnte.
Nun bleibt also diese winzige Ortschaft ihrer ach so wertvollen Berufung getreu: die Lebenden vor dem Tode des Ertrinkens zu erretten und die Seelen von der Verdamnis zu erlösen.